UX im Unternehmen einführen, verankern und vorantreiben

„Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“ Dementsprechend sind gute und erfolgreiche Produkte und Dienstleistungen vor allem aus Nutzenden- und Kundensicht zu betrachten, damit sie Mehrwert schaffen und überzeugen. Aber wie findet man die Bedürfnisse heraus? Sind Kundinnen und Kunden auch gleich Nutzer*innen? Und wie kann man menschzentriert arbeiten?

Inhaltsverzeichnis

Die Herausforderung

Wer menschzentrierte Gestaltung in die Produktentwicklung einführen möchte, sieht sich oft vielen Hürden, Fragen und Herausforderungen gegenüber. Mit Nutzenden zu sprechen, ihre Bedarfe und Anforderungen systematisch aufzunehmen erfordert einerseits entsprechende Kompetenzen, andererseits bedeutet es auch Aufwand und damit Kosten. Diese Kosten schrecken zunächst ab, sind aber in der Regel gut investiert. Denn wenn falsche Features in einem fertigen Produkt geändert werden müssen, sind die Aufwände in der Regel deutlich höher.

Die ersten Schritte

Produktziele müssen für einen nachvollziehbaren Geschäftserfolg mit Unternehmenszielen verknüpft werden. Daher ist es wichtig, die Ziele und „Schmerzpunkte“ von Führungskräften und dem Management zu kennen und zu verstehen. Denn nur so können UX-Maßnahmen geplant werden, dass sie auf diese Ziele einzahlen. Daher ist einer der ersten wichtigen Schritte, mit Führungskräften zu sprechen: Was treibt sie um? Was wollen sie erreichen? Wie können Erfolge gemessen werden?

Quick Wins generieren

KI-Tools bieten neue Möglichkeiten, eine grundlegende Datenbasis über die Nutzenden relativ schnell aufzubauen, Fleißarbeiten zu minimieren und damit Ressourcen zu sparen. Dadurch bleibt mehr Zeit für konzeptionelle und „Denk-Arbeit“. Vor allem quantitative Daten können effizient erhoben und ausgewertet werden. Sie liefern erste Anhaltspunkte über das Nutzendenverhalten: Wo springen Nutzende ab, an welchen Stellen gibt es schwache Conversion oder welche Inhalte werden nicht aufgerufen oder gefunden?
Auf diese Weise lassen sich Schwachstellen identifizieren, die eine eingehendere, qualitative Analyse der möglichen Ursachen erfordern.

Mitstreitende finden

Es kämpft sich schlecht allein. Der Mehrwert menschzentrierter Arbeit muss nachvollziehbar, anhand konkreter Beispiele, wiederholt und in verständlicher Sprache kommuniziert werden. Die erzielten Erfolge müssen klar hervorgehoben werden.

Finde daher die passenden Menschen im Unternehmen, die Deine Ziele und Arbeitsweise kennen und schätzen. Mache ihnen deutlich, was Du für sie tun kannst und überlegt gemeinsam, wie Ziele erreicht und Erfolge gemessen werden können: Welche KPIs sind hier hilfreich? Die Ergebnisse helfen zudem, kontinuierlich nachzuschärfen und sich zu verbessern.

Unterstütze die Produktteams, die menschzentriert arbeiten möchten. Oft können schon kleinere Maßnahmen wie eine Umfrage oder ein Usability-Test dabei helfen, erste Insights zu generieren. Diese Maßnahmen sind – je nach Zielstellung und gewählter Methode – nicht unbedingt sehr kostenaufwändig und können guteinkalkuliert werden. Es kann erforderlich sein, dass Du entsprechende Budgets organisieren oder argumentieren musst.

Die UX-Vision

Eine UX-Vision richtet sich nach Unternehmenszielen und ist Orientierungspunkt in der täglichen UX-Arbeit. Sie zeichnet ein Zielbild für die (abschätzbare) Zukunft und kann sich auf die gesamte User Experience oder die Qualität eines Produkts beziehen. Es hängt davon ab, wo im Unternehmen Ihr mit Euren Themen steht und was die Prioritäten aus dem Management sind. Grundlage für die Entwicklung einer UX-Vision sollten Informationen aus dem Nutzungskontext (User Research) sein, um tatsächliche Nutzungsprobleme zu adressieren und Innovationspotentiale zu heben.

Erzähle die Vision so, dass sie für alle relevanten Stakeholder gut verständlich und nachvollziehbar ist – dafür kann sie durchaus emotional sein. Sie sollte unbedingt zu Eurer Unternehmenskultur entsprechen: Eine bemüht emotionale Aufladung macht in einem faktisch-nüchtern arbeitenden Unternehmen möglicherweise keinen Sinn, wirkt aufgesetzt und erfährt damit wenig Akzeptanz. Personen fühlen sich dadurch möglicherweise nicht passend abgeholt.

Eine UX-Vision kann in Form eines Prototyps, Storyboards oder Videos gut verständlich und nachvollziehbar visualisiert werden. Wäge auch hier Kosten und Nutzen gut ab: Welche Relevanz hat die Vision im Unternehmen? Welche Probleme werden adressiert, welche Chancen genutzt? An wen richtet sich die Botschaft: Welche Stakeholder sollen abgeholt werden? Und welche Kompetenzen und Fertigkeiten besitzen Du und Dein Team, um die Vision mit den passenden Tools effizient darzustellen?

Apropos Unternehmenskultur

Gute UX-Arbeit kann nur in einer passenden Unternehmenskultur gedeihen. Dazu gehört vor allem der konstruktive Umgang mit Fehlern. Dinge, die nicht gut funktionieren, müssen angesprochen werden können, ohne negative Folgen für jemanden zu haben. Nur durch eine gute Feedback- und Fehlerkultur könnt Ihr Euch miteinander entwickeln. Fordere daher Feedback explizit ein und gehe mit Fehlern offen und transparent um.

Kulturänderungen brauchen Zeit: Erwarte daher nicht zu viel auf einmal und gib nicht auf, auch wenn es zäh ist. Belohne Deine Unterstützenden und mache deutlich, dass sich der persönliche Einsatz lohnt.

Argumente für UX-Arbeit

Service und Support sind die Stellen im Unternehmen, an denen unzufriedene Kundinnen und Kunden ihre Probleme oft zuerst adressieren. Um Anhaltspunkte für erforderlich UX-Arbeit zu sammeln, kann es hilfreich sein, hier um entsprechende Erfahrungen, Statistiken und Eindrücke zu bitten. Auch im Vertrieb sind oft Themen bekannt, die Nutzende beschäftigen. Berechne Einsparpotentiale anhand des Return on Investment (ROI), um erforderliche Kosten gegen zu erwartende Einsparungen zu halten: Bis wann amortisieren sich die Aufwände? Und wie langfristig können sie wirken und damit sogar Geld einbringen?

Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass Entscheidungen am ehesten und sinnvollsten auf Grundlage valider Daten zu treffen sind. Eigene Erfahrungen und Einschätzungen decken sich nicht zwangsläufig mit den Bedürfnissen von Nutzenden. Arbeite daher darauf hin, Daten zu erheben, die objektive Entscheidungen erlauben. Und sei sensibel für Besonderheiten der Branche, in der Du arbeitest: Hier gibt es nicht nur bestimmte „Marktmechanismen“, sondern immer auch eine eigene Kultur. Nimm daher Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachbereichen mit ins Boot: Welche Fragen treiben sie um? Wie können sie zu UX-Maßnahmen beitragen? So können Nutzungsprobleme gemeinsam ermittelt werden, um durch die entsprechenden Maßnahmen Schritt für Schritt eine hohe Produktqualität zu erreichen.

Viel zu tun? Priorisiere Deine Aufgaben

Das Wichtigste zuerst: Gleiche Deine anstehenden Aufgaben mit den zu erreichenden Unternehmenszielen ab. Was den größten Mehrwert generiert, hat oberste Priorität.

Überlege, welche die für Dich und Dein Team passenden Werkzeuge sind, um Arbeiten möglichst effizient ausführen zu können, wie z.B. die Nutzung von:

  • Templates und Vorlagen für User Research
  • Dokumentations- und Arbeitsvorlagen
  • KI-Tools zur (teil)-automatisierten Auswertung und Aufbereitung von Daten
  • Content und / oder Pattern Libraries (mit Code-Beispielen)
  • Styleguide / Design System
  • Zentrale Ticket-, Ablage- und Dokumentationssysteme

Prüfe dabei, ob kollaborative Aspekte wichtig sind und Arbeitsergebnisse für alle Beteiligten immer aktuell im Zugriff sein müssen.

Zusammenfassung und Fazit

Um UX-Arbeit im Unternehmen voranzutreiben und die Relevanz sichtbar zu machen, solltest Du Dich dem Thema strategisch nähern. Dabei können folgende Fragen helfen, die Du – je nach Situation im Unternehmen – entsprechend priorisieren solltest, um ein mögliches Vorgehen zu entwickeln:

  • Was sind die Unternehmensziele, auf die eine gute UX einzahlt?
  • Was sind die Themen und Sorgen Deiner Stakeholder?
  • Wie lassen sich Erfolge z.B. anhand von KPIs messen?
  • Wie kannst Du andere mitnehmen und befähigen, qualifizierte UX-Aufgaben in ihren Teams zu übernehmen?
  • Wie kannst Du Deine und die Arbeit Deines Teams effizient gestalten? Welche Tools helfen hier?
  • Wie kannst Du eine Feedback- und Fehlerkultur befördern?

Bilde Dich fort, damit Du Deine Fachkompetenzen kontinuierlich ausbauen kannst. Gerade durch den Einsatz von KI-Tools verteilen sich UX-Aufgaben zukünftig auch auf andere Rollen im Unternehmen. Hier für eine gute Qualität der Arbeit zu sorgen, ist Aufgabe von UX Professionals.

Zur Autorin

Carmen Hartmann-Menzel ist Usability Engineer bei rocket-media und betreut hier namhafte Kunden aus Mittelstand und Industrie. Sie ist anerkannte Seminar-Trainerin nach dem Standard des „International Usability and User Experience Qualification Board (UXQB)“. Seit 20 Jahren lehrt sie in den Bereichen Design / UX an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland und wurde im September 2019 auf eine Professur an der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd im Studiengang „Interaktionsgestaltung“ berufen.